FAZ II

Ebbelwoi in Frankfurt Gibt es ein schöneres Wort als Schobbedeggelsche?

Frankfurter Ebbelwoikneipen sind hell, die Bänke sind hart, das Stöffche ist säuerlich und der Handkäs mindestens eigen. Trotzdem muss man sie lieben, denn sie sind das Gegenteil von muffiger Provinz.

05.08.2015, von Andrea Diener
 
© Wonge Bergmann Susanne bringt den Schobbe, natürlich im Bembel: Ganz ohne Vokabelkenntnisse wird es nichts mit dem Ebbelwoi.

Weißt du“, sagte K., „was mich in Frankfurt immer so an New York erinnert? Das da“, sagte K. und deutete nach gegenüber. Dort befanden sich – neben unserem, an dem wir saßen – weitere Tische des Ebbelwoilokals Schreiber-Heynes Proletariat. Unverdächtige Tische, unverdächtige Menschen, Bembel. Nichts Besonderes also. „Nicht diese blöde Skyline“, sagte K. „Nein, das hier. Lokale, in denen ganz normale Leute sitzen, Junge und Alte und aus allen Schichten. Alle durcheinander. Das ist hier nämlich ganz genauso wie in New York.“

Andrea Diener Folgen:

Frankfurt kämpft ja gegen eine ganze Reihe von Vorurteilen. Man findet es abwechselnd kalt und abweisend (diese Banktürme!) oder provinziell und piefig (dieser Ebbelwoimuff!). Und kommt dann früher oder später auf den wahnsinnig originellen Gedanken, dass diese Stadt hässlich ist. Gut, das ist eine Meinung, aber sonderlich differenziert ist sie nicht. Da nicke ich lieber, streite mich nicht herum und denke darüber nach, was K. gesagt hat. Ich beklage ja immer die Provinzialität des Bankturmpersonals. Vermutlich sind das zwei Seiten ein und derselben Medaille, mit dem Ergebnis, dass man Frankfurt schon einmal provinziell finden kann. Die meisten tun das nur aus den falschen Gründen.

Wir sind ja nicht im Striplokal

Tatsächlich war es einige Zeit lang nicht besonders verbreitet, sich in Sachsenhausen – dem sogenannten Dribbdebach, also jenseits des Mains – in eine Ebbelwoikneipe zu setzen. Zu touristisch, zu langweilig. Inzwischen tut man das aber wieder, und zwar mit wachsender Begeisterung. Denn es gibt so viele dieser traditionellen Wirtschaften, dass man die breite Auswahl hat. Man kann im Gemalten Haus Asiaten dabei zuschauen, wie sie gigantische Berge an Rippche, Schäufelche, Leiterche bestellen, etwas hilflos betrachten und dann irgendwie doch immer kleinkriegen. Man kann in den Drei Steubern eingefleischten Frankfurtern dabei zuhören, wie sie ein reines Idiom sprechen, das noch nichts mit dem Sprachbrei namens „RMV-Hessisch“ zu tun hat. Man kann in der Atschel der Bedienung dabei zuhören, wie sie verzweifelt versucht, brasilianischen Gästen das Konzept des Mispelchens zu erklären. Es ist großartig und für jeden etwas dabei.

Ebbelwoi und Handkäs -  Apfelwein und andere Frankfurter Spezialitäten werden in verschiedenen Lokalen der Stadt angeboten

© Wonge Bergmann Noch lachen sie: Asiatische Gäste wagen sich im Gemalten Haus an die Frankfurter Spezialitäten.

Ich erkläre Ihnen das gerne: Die Ebbelwoiwirtschaft ist nicht per se gemütlich. Man sitzt unter immer viel zu hellen Lampen, aber das muss sein, wir sind ja nicht im Striplokal, da isses dunkel, gehn Sie doch dahin, ist nicht weit, einmal über den Main. Man sitzt ferner auf Holzbänken vor holzverkleideten Wänden. Jetzt fangen Sie nicht mit den Bedürfnissen Ihres zarten Bobbes an, seien Sie froh, wenn es ein paar Kissen irgendwo im Eck gibt. Garderobe gibt es auch nicht, sehen Sie den Haken da hinter Ihnen? Genau. Können Sie sich gleich an Ihr Jäckchen lehnen, ist weicher. Zufrieden?

Es gibt hier überhaupt recht wenig jenen Plunders, von dem simple Gemüter behaupten, er trage zur Behaglichkeit eines Ambientes bei. Ambiente, geh mer fott! Keine Troddeln, kein rustikaler Zinnkram, kein Hintergrundgedudel, keine Zierdächlein mit Holzschindelchen, keine Dekoäste mit Baumelquatsch. In der Atschel hängen Drucke verschiedener Apfelsorten, im Dax Blechschilder, im Schreiber Heyne die Prominenz von vorvorgestern. Ambiente machen wir uns selbst.

Gutes Stöffche gibt es nur hier

Die Ebbelwoiwirtschaft hat oft einen Garten, der heißt aber nicht Biergarten, ich bitte Sie, wir sind ja nicht in Bayern. Das heißt hier „Gaddewertschaft“. Betonung: Man lässt sich in die erste Silbe fallen wie auf die Holzbank, nämlich schwer und erschöpft und in Erwartung eines Getränks, ach was, des Getränks schlechthin.

Ebbelwoi und Handkäs -  Apfelwein und andere Frankfurter Spezialitäten werden in verschiedenen Lokalen der Stadt angeboten

© Wonge Bergmann Das heißt nicht Biergarten, das heißt „Gaddewertschaft“! Oder sehen Sie hier im Kanonesteppel irgendjemanden Bier trinken?

Irgendwann kommt Bedienung. Die hat einen etwas ruppigen Charme, will aber Ihr Bestes. Ehrlich. Wenn die Menschen hier anfangen, unterwürfig zu charmieren, dann haben Sie ein Problem. Solange der Südhesse knottert, liebt er Sie. Auch meint er oft das Gegenteil von dem, was er sagt. Man nennt das Ironie, es ist eine rhetorische Figur und leider nicht in allen Teilen der Bundesrepublik verbreitet. Das alles führt immer wieder zu Missverständnissen.

Jetzt fragen Sie wahrscheinlich, warum Sie sich auf harten Holzbänken minderfreundlich anknottern lassen sollen? Na wegen des Ebbelwois! Wer unter den Wirten etwas auf sich hält, keltert selbst. Massenplörre bekommen Sie überall, gutes Stöffche nur hier. Im Übrigen bestellt man eher einen Bembel als ein Glas: Für zwei Personen ist ein „Vierer“ ideal, dann hat jeder zwei Gläser. Große Gruppen freuen sich über einen Sechzehner. Dazu gern Mineralwasser, zum Aufspritzen. Das ist der „sauer Gespritzte“. Man kann auch süß spritzen, aber ich würde es nicht riskieren. Ein verächtlicher Blick ist das mindeste, was Sie dann trifft.

Kaa neumodische Ferz

Gut, Sie haben Bembel, Sie haben Schobbe – also das, was im Bembel drin ist. Schütten Sie den Schobbe ins Gerippte, das ist das Glas mit den Rauten, dann Wasser drauf. Falls Sie planen, nebenher größere Fleischberge in sich hineinzuschaufeln und die Hände fettig sind, rutscht Ihnen das Glas dank der praktischen Profilprägung nicht nach unten durch. Wenn Sie in der Gaddewertschaft sitzen, schließen Sie besser das Glas mit einem Schobbedeggelsche, der Wespen wegen. Und weil das eines der schönsten Wörter der Welt ist.

Ebbelwoi und Handkäs -  Apfelwein und andere Frankfurter Spezialitäten werden in verschiedenen Lokalen der Stadt angeboten

© Wonge Bergmann Helles Licht, harte Bank, karger Charme: So wie hier bei Dax muß eine Ebbelwoikeipe aussehen.

Falls Sie nicht planen, größere Fleischberge – Rippche, Schäufelche, Leiterche – in sich hineinzuschaufeln, bleiben Ihnen genug Alternativen. Diverse Würstchen etwa, hier gern als „Worscht“ bezeichnet. Oder Schneegestöber, das ist eine Käsecreme aus Camembert. Oder Grüne Soße, die muss man eigentlich mindestens einmal im Leben gegessen haben, sonst verpasst man etwas. Sie genießt in Frankfurt geradezu religiöse Verehrung, wird mindestens am Gründonnerstag nach hochheiligem Familienrezept zubereitet – eigentlich aber so oft wie irgend möglich – und ist so unfassbar gesund, dass man auch nach mehreren Bembeln keinen Schädel bekommt. Wem das nicht reicht, der bestellt ein Frankfurter Schnitzel, also Schnitzel mit Grüner Soße. Das kam vor etwa zehn Jahren auf und setzte sich auch unter traditionsbewussten Bürgern sofort als vollkommen plausible Kombination durch. Wir haben es ja nicht so mit dene neumodische Ferz, erkennen aber eine gelungene Innovation, wenn wir sie sehen.

Haddekuche vom Brezelbub

Eines der wichtigsten Gerichte auf der Karte jedes Ebbelwoilokals und der klassische Begleiter zum Schobbe ist der Handkäs. Er wird aus Sauermilchquark hergestellt und ist knapp handtellergroß. Üblicherweise isst man ihn mit Musik. Also: mit „Mussick“. Bitte auf der ersten Silbe betonen, sonst versteht man Sie womöglich nicht. Man mariniert den Käse mit Zwiebeln, Essig, Öl, Pfeffer und Salz und sorgt dafür, dass Sie am Tisch auch über Kümmel und Brot verfügen. Fragen Sie aber nie nach einer Gabel. Man isst den Handkäs nur mit dem Messer: Abschneiden, mit Musik aufs Brot türmen, abbeißen, fertig. Und am nächsten Tag wissen Sie dann auch, warum das „mit Musik“ heißt. Gerade in Verbindung mit Apfelwein. Nein, der Darm gewöhnt sich daran nie.

Ebbelwoi und Handkäs -  Apfelwein und andere Frankfurter Spezialitäten werden in verschiedenen Lokalen der Stadt angeboten

© Wonge Bergmann Das Essen ist eher fleischbetont herzhaft, doch für Vegetarier bleiben immer Grüne Soße, Handkäs und Schneegestöber.

Warmes Essen gibt es meist bis zehn, kaltes auch danach. Für den ganz späten Hunger hören Sie am besten auf die Klingel: Die Fahrradklingel hat der Brezelbub an seinem Korb. Er läuft durch die Kneipen und verkauft Brezeln, Käsestangen und Haddekuche, eine Art süßer Ganzjahres-Lebkuchen. Der Brezelbub kommt den Wirten mit seinem Angebot nicht in die Quere, im Gegenteil: Nach einer schönen Salzbrezel bekommt man ja erst recht Durst.

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Irgendwann haben Sie sich an alles gewöhnt. Das grelle Licht, der Handkäs, die harte Bank. Die Bedienung ist ein warmes, freundliches Engelswesen, denn sie bringt güldenes Getränk. Das Gebabbel, das von den anderen Tischen hinüberdringt, ist die schönste Sprache der Welt. Sie oszilliert zwischen hemmungsloser Verniedlichung und gnadenloser Direktheit, zwischen dem Aufbau sahnig-filigraner Babbelgebäude und der Dekonstruktion von absolut allem, was ist. Sie ist die Sprache Goethes. Wunderschön. Genauso wie alle anderen Sprachen, die zu Ihnen herüberdringen, alle wunderwunderschön.

 

Das letzte Mispelchen

Dann wird es Zeit für das letzte Mispelchen, ein Calvados mit eingelegter Mispel. Doch, doch, dieses Kernobst aus der Familie der Rosengewächse gibt es wirklich. Sie sehen aus wie überdimensionierte Hagebutten und finden eigentlich keine andere Verwendung, als sie mit einem Zahnstocher aufzuspießen und in Alkohol zu ersäufen. Dort machen sie sich aber ausnehmend gut.

Ebbelwoi und Handkäs -  Apfelwein und andere Frankfurter Spezialitäten werden in verschiedenen Lokalen der Stadt angeboten

© Wonge Bergmann Aber das Wichtigste ist: Das Volk muss sich mischen! Gäste aller Altersgruppen und aus aller Herren Länder sitzen hier, je bunter desto besser.

Gegen eins werden Sie aus dem Lokal – oder der Gaddewertschaft – geworfen. Alles, was Sie erlebt haben, wird Ihnen vollkommen plausibel erscheinen. Sie werden sich fragen, warum es das nicht überall gibt, warum in anderen Städten andere Trinkrituale herrschen und warum nicht alle beisammensitzen, so wie in Frankfurt und in New York, sondern meinen, sich nach selbstempfundenem Hipnessgrad sortieren zu müssen.

Dann gucken Sie über den glitzernden Fluss auf die andere Mainseite hinüber. Da stehen die Bankentürme. Denen zu Füßen feiern Anlageberater aus Dinkelsbühl in Etablissements namens „Euro-Deli“ oder „The Odeon“ und fühlen sich international. Schauen Sie rüber: Da ist die Provinz. Die weite Welt, die ist hier, in der Ebbelwoiwirtschaft, in Sachsenhausen. Das wird oft verwechselt. Aber das wird Ihnen jetzt nicht mehr passieren.

Wo gibt’s Stöffche?

Anfänger sind im Kanonesteppel (Textorstraße 20) richtig: fruchtig-süßer Apfelwein und gutes, solides Essen. Von ähnlicher Güte ist das Gemalte Haus (Schweizer Straße 67). Hier trifft man auf verständnisvolles Personal und kann nichts falsch machen. – Der Apfelweinconnaisseur probiert sich durch die Karte im Lorsbacher Thal (Große Rittergasse 49). Hier gibt es viele Spezialitäten und Raritäten. – Gutes Essen und eine fast schon plüschige Wirtsstube gibt es bei Schreiber-Heynes Proletariat (Dreieichstraße 45). – Für Fortgeschrittene: Wer sich unter die Einheimischen mischen will, versucht einen Platz in den Drei Steubern (Dreieichstraße 28) zu ergattern – geöffnet ist nur von Dienstag bis Freitag! Ein wenig abgelegener und tendenziell auch eher touristenfrei sind Dax (Willemerstraße 11) und Eichkatzerl (Dreieichstraße 29). Doch auch dort sollte man besser reservieren, wenn man mit einer Gruppe etwas essen will. – Natürlich gibt es auch in Bornheim oder Seckbach ganz hervorragende Ebbelwoikneipen! Ob Solzer (Berger Straße 260), Zum Rad (Leonhardsgasse 2) oder auch die Mutter Ernst in der Innenstadt (Alte Rothofstraße 12) – Hibbdebach bekommen sie ebenso gutes Stöffche wie Dribbdebach.