Frankfurt – häppchenweise
Von Rolf Kienle
Die Versuchung ist groß, aber hüten Sie sich davor, eine Frankfurter Gartenwirtschaft Biergarten zu nennen. Biergärten gibt’s anderswo, in Frankfurt nennt man solche Einrichtungen "Gaddewertschaft", wobei man unbedingt die erste Silbe betont. Ähnlich wie bei Ebbelwoi. Oder wie bei Handkäs’ mit "Mussik". Grundsätzlich die erste Silbe. Es ist die Sprache Goethes. Obacht also vor despektierlichen Äußerungen wie "Gebabbel". Sie werden sich daran gewöhnen.
Dann sollte man noch Bembel, das Stöffche oder Schobbe und das Gerippte kennen, eventuell noch "Schneegestöber", eine Art Obazda. Viel mehr muss man nicht wissen, um in Sachsenhausen eigentlich nicht mehr schief angeguckt zu werden. Natürlich sollte man es nicht riskieren, seinen Ebbelwoi mit süßer Limo zu verdünnen, sondern immer mit Mineralwasser, also sauer. Andernfalls ... Man weiß es nicht.
Es ist nicht lange her, da wären Sie vom Kellner trotz aller lokalen Kenntnisse ziemlich minderfreundlich behandelt worden. Vor kurzem erst saß ein Mann in einer Gartenwirtschaft und las in einem Buch - bis der Kellner es ihm vor seiner Nase zuklappte und bemerkte: "Die Bücherei ist da vorn." Die netteste Umschreibung für diesen Typ Kellner ist "knorrig". Dass die Frankfurter selbst ihren Gartenwirtschaften untreu wurden, könnte genau daran gelegen haben: Sie wollten sich nicht mehr anknottern lassen. Jetzt kommen sie wieder. Sagt ein Wirt, der’s auch nicht knorrig mag. Frank Winkler vom "Lorsbacher Thal", ein Haus mit 200-jähriger Geschichte, gehört zu jenen, die den Gast lieber freundlich bedienen. Es ist nicht gleich eine Charmeoffensive, wenn der Kellner aufmerksam ist statt zu knottern. Aber sehr angenehm und gemütlich, zumal hier Kissen auf den Stühlen liegen, was früher keinem Wirt in den Sinn gekommen wäre. Im Gastraum seines Restaurants hat Frank Winkler es sogar gewagt, Teppiche auszulegen. Das dämpft den abendlichen Lärmpegel, hat ihm aber die Identifizierung "Die mit dem Teppich" eingebracht. Es gibt Schlimmeres.
Die Winklers haben das "Lorsbacher Thal" erst vor gut drei Jahren übernommen. Davor betrieben sie den "Schafhof" im Amorbach, ein Hotel mit Sterne-Restaurant. Was ist schwieriger? Sternelokal oder Ebbelwoi-Kneipe? Eindeutig die Ebbelwoi-Wirtschaft. Das mag auch daran liegen, dass er das Thema Ebbelwoi sehr ambitioniert angeht. "Wir haben die größte Ebbelwoi-Karte der Welt." 250 verschiedene. Es hat japanische, südafrikanische, kanadische und den selbst Gekelterten. Und tritt den Beweis an, dass er nicht so schmecken muss, dass es einem alles zusammenzieht, sondern auch mal wie ein edler Dessertwein.
Alles, was die Karte an Frankfurter Gerichten auflistet, kann man auch im kleinen als "Reise" oder deutschen Häppchen probieren. In Spanien würde man Tappas dazu sagen. Aber "bei uns gibt’s kein Gedöns".
Frankfurt hat kulinarisch einiges drauf. Der Ebbelwoi ist nur der bekannteste Vertreter, aber dicht gefolgt vom Frankfurter Kranz, den Frankfurter Würstchen oder der allgegenwärtigen Grünen Soße, "Grie Soß" genannt. Die bekommt man fix und fertig oder als Kräutermischung zum Beispiel in der Kleinmarkthalle. Die Halle ganz in der Nähe des Römer ist ein Muss bei jedem Frankfurt-Besuch, aber weit davon entfernt, eine touristische Angelegenheit sein zu wollen. Die Frankfurter essen bei Frau Schreiber ihre Rindswurst oder in der "Marktstubb" im zweiten Stock Kartoffeln mit vier halben Eiern und grüner Soße. Sie kaufen französischen Käse und Ahle Wurscht aus Nordhessen, trinken Rheinhessen-Wein oder Espresso.
Kian Malek, ein Ladenburger, hat hier gerade sein "Main Gourmet" eröffnet und bietet einen sehr aromatischen Apfelweinkäse und Wurstspezialitäten an. Kein Obst- oder Gemüsestand würde es wagen, nicht die abgepackten sieben Kräuter für Grüne Soße zu haben. Pflicht sind Petersilie, Kerbel, Borretsch, Pimpinelle, Schnittlauch, Sauerampfer und Kresse. Nicht mehr und nicht weniger. Wichtig ist lediglich, dass die Kräuter mit einem Messer gehackt werden, nie mit dem Pürierstab gemixt.
Den Frankfurtern kann man nicht nachsagen, dass sie ihre Grüne Soße nicht ernst nähmen. Im Juni findet jeweils ein "Grüne Soßen-Festival" statt und dieses Jahr versuchten sie sich gar an einem Weltrekord. Vermutlich tonnenweise verputzen sie ihre sieben Kräuter. Wem Kartoffeln und gekochte Eier zu langweilig sind, der bestellt ein "Frankfurter Schnitzel" - selbstredend mit Grüner Soße.
Etwas schwieriger ist die Suche nach dem berühmten Frankfurter Kranz. Nette Cafés gibt’s an jeder Ecke, aber längst nicht alle haben auch einen Frankfurter Kranz in der Kühltheke stehen. Antonio Iacino vom Café Mozart hat ihn. Das Café mit seiner klassischen Einrichtung mit roten Ledersesseln ist ein schöner Kontrast zu den stylischen Cafés in der Frankfurter Innenstadt. Iacino, der sein "Mozart" seit über 30 Jahren betreibt, hat eine zeitgemäße Variante des Frankfurter Kranzes auf der Karte: Nicht mit Buttercreme oder Marmelade, sondern mit einer feinen Vanillecreme, aber natürlich mit Krokant. Der Kranz mit seiner goldschimmernden Krokanthülle und den Kirschen soll übrigens an eine Krone erinnern und Reminiszenz an die Krönungsstadt Frankfurt sein. Ja, und ein paar Kalorien hat er auch.
Frankfurter Bethmännchen, ein Marzipangebäck, gab’s früher nur zur Weihnachtszeit, heute durchs ganze Jahr hinweg. Erstmals hat sie wohl ein Konditor hergestellt, der in Diensten des Frankfurter Bankiers Bethmann stand.
Was war zuerst: Frankfurter Würstchen oder ihre Wiener Brüder? Keine Frage: Die Frankfurter. Vor 200 Jahren hat ein Frankfurter Metzger Würstchen in Wien nach Frankfurter Vorbild hergestellt, Geburtsstunde der "Wienerle". Heute dürfen sich nur jene Würstchen Frankfurter nennen, die auch im Raum Frankfurt hergestellt werden. Sie sind aus Schweinefleisch und werden kalt geräuchert. Man bekommt sie, wo sonst, auch in der Gartenwirtschaft. Da, wo’s auch den Kochkäse gibt, aber der ist ja keine rein Frankfurter Besonderheit.