Der Schoppen als Politikum: Wie die Frankfurter um ihr Stöffche kämpfen mussten
Frankfurt Der Apfelwein ist das Frankfurter „Nationalgetränk“. Als vor 100 Jahren im Ersten Weltkrieg ein Kelterverbot erlassen wurde, war der Protest groß – und es wurde heimlich weiter gekeltert. Aber auch schon früher taugte das Stöffche zum Politikum
Die „Buchscheer“ ist eine der ältesten Heckenwirtschaften. Seit 1876 gibt es das Lokal, das nun in der fünften Generation betrieben wird. Bild: Photographer: Holger Menzel
Vor 100 Jahren, im Zuge der Verhandlungen über die Eingemeindung von Unterliederbach, Sindlingen und Zeilsheim nach Höchst, wurde auch über die Apfelweinsteuer diskutiert. Das Höchster Kreisblatt schrieb damals: „Als eine Folge der Eingemeindungsverhandlungen (...) ist mit der Abschaffung der Apfelweinsteuer zu rechnen. Die Landgemeinden wollen von dieser Steuer, die sich auch in Höchst niemals einer besonderen Zuneigung erfreute, nichts wissen, und so hat denn die Stadt nachgegeben. Sie hat die Steuer im neuen Haushaltsplan gestrichen, was sie mit um so weniger Schmerzen tun kann, als dass diese Abgabe in den letzten Jahren kaum noch nennenswerte Erträge gebracht hat.“
Obst für die Soldaten
Die Steuer war nicht das einzige, was den Kelterern das Leben schwer machte. Während des Ersten Weltkriegs wurde wegen Ernährungsschwierigkeiten das Keltern von Äpfeln verboten. Von 1917 an sollte das Obst ausschließlich zu Konserven verarbeitet werden. Dagegen protestierten in Frankfurt Apfelweinhersteller und Apfelweintrinker. Die Kelterer schlossen sich zu einem Verein zusammen, und die Apfelweingenießer gründeten als „Apfelweingeschworene“ geheime Apfelweinlogen. Sie sorgten dafür, dass auch weiterhin, wenn auch in kleinen Mengen, Äpfel zu Stöffche verarbeitet wurden. Der große Vorteil damals: Es wurde noch viel im heimischen Keller gekeltert, und dort hatte kaum jemand Einblick. Nachbarn, die etwas mitbekamen, wurden kurzerhand in die Loge mitaufgenommen und bekamen ihren Anteil.
Nach Kriegsende, als die Vereine ihre Gefallenen betrauert hatten und sich langsam wieder neu organisierten, wurde der Wiederanfang nicht selten mit Kelterfesten gefeiert. So alt war die Apfelweintradition damals in Frankfurt noch gar nicht: Zwar war das Getränk seit dem Mittelalter bekannt und für den Hausgebrauch beliebt. Ein Reinheitsgebot wird 1638 in der Ratsverordnung der Stadt Frankfurt erwähnt; 1654 wurde der Ausschank von Ebbelwei steuerpflichtig und deshalb von „Kellervisierern“ strengstens überwacht.
Doch produzierte man gerade in Sachsenhausen, auf dem Lohrberg, dem Mühlberg oder dem Röderberg bis etwa 1850 noch vorwiegend Traubenwein. Eine Reihe von Missernten, verursacht von einem kleineren Klimawandel, und die aus den USA eingeschleppte Reblaus, die den Weinanbau in ganz Europa gefährdete, brachten die Sachsenhäuser Winzer dazu, ihre Rebstöcke gegen Obstbäume auszutauschen. Die Gebrüder Freyeisen gründeten allerdings bereits 1817 – also vor nun 200 Jahren – die „Erste Frankfurter Apfelweinkelterei“ und exportierten auch ins Ausland. Mitte des 19. Jahrhunderts zählte Frankfurt zwölf Großkeltereien, zahlreiche Kleinkeltereien sowie Hunderte selbst kelternde Wirte.
„Wo’s Kränzje hängt“
Damit war die kommerzielle Apfelweinproduktion in Frankfurt angerollt. Gerade in Sachsenhausen, das nicht so eng bebaut war, entstanden viele Heckenwirtschaften, etwa die „Schee Fraa“ oder „Es Aprikösi“. Überdauert hat etwa die „Buchscheer“. Erkennungszeichen war das „Fichtekränzi“, ähnlich der Straußwirtschaften: Wo der Kranz hing, wurde ausgeschenkt. Oder: „Wo’s Kränzje hängt, werd ausgeschenkt“.
Noch einmal sollten sich die Kelterer übrigens im Laufe des 20. Jahrhunderts gegen Bestrebungen wehren müssen, ihre Apfelweinproduktion zu schließen: Die Nazis waren keine Liebhaber des sauren Schoppens. Die Kelterei, obwohl eine alte Tradition, passte nicht in die nationalsozialistische Ideologie, die den Alkohol zum Volksfeind erklärte: Äpfel sollten gegessen werden und der deutschen Volksgesundheit dienen. Den Keltereien wurde nahegelegt, sich „im Zuge der Zeit“ nicht mehr für eine „krampfhafte Aufrechterhaltung einer überholten Lebensmitteltechnik“ zu engagieren, sondern im Sinne der „nationalsozialistischen Entwicklung“ nur noch Apfelsaft herzustellen. Die Nazis richteten Obstsammelstellen ein, wohin die Bevölkerung ihr Obst zu liefern hatte. Und wieder bildeten sich geheime Kelterlogen, die sich dem Verbot widersetzten.
So ist der Apfelwein nicht nur Kultgetränk und Kulturgut, sondern auch süffiges Zeichen des Widerstands gegen Bevormundung, eigentlich sogar das Anti-Kriegs-Getränk Frankfurts: Wer keltert, marschiert nicht gern im Gleichschritt.